Der letzte Sommer im Frieden. Die Kriegsvorbereitungen der Naziführung im Deutschen Reich liefen auf Hochtouren. Mit dem Abschluss des Hitler-Stalin-Paktes am 24. August 1939 wurde Polen zwischen Deutschland und der Sowjetunion aufgeteilt. Damit war für Hitler der Weg frei. Am 1. September 1939 begann mit dem Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg.
Die nachfolgenden Erinnerungen stammen von dem 1931 in Budapest geborenen Imre Szentpály-Juhász, der mit seinen Eltern und seinem Bruder die Sommerferien 1939 in Krumpendorf verbrachte. Die Übersetzung aus dem Ungarischen besorgte sein Sohn.
Mein Vater war trotz seiner ungarischen Vorfahren 1891 als österreichischer Staatsbürger in Lemberg, dem heutigen Lwiw, in der Ukraine geboren worden. Dort war mein Großvater Heinrich Juhász als k.u.k. Artillerieoffizier stationiert. Seine Dienstlaufbahn beendete mein Großvater 1913 als Stadtkommandant von Temesvár (Timisoara, Rumänien) im Rang eines Generalmajors. Seine Frau, meine Großmutter, geb. Franciska Giaxa-Molinari, lebte bis zu ihrem Tod 1938 in Wien.
Mein Vater ging zuerst in eine Kadettenschule und dann in die Theresianische Militärakademie in Wiener Neustadt. Er wurde dort zum Oberleutnant ernannt und diente als Kavallerist zuerst im 6. später im 12. Ulanenregiment.
An der serbischen Front 1914 lernte mein Vater den Ulanen Jenő Szentpály kennen und bei einer Einladung in dessen Heimat Szőlősvégardó ( Vinogrado, Ukraine) auch dessen Geschwister. Bis zum Ende des 1. Weltkrieges diente mein Vater an der russischen Front. Durch Adoption wurde er in die Familie Szentpály aufgenommen, heiratete meine Mutter und trat in den Dienst der Ungarischen Königlichen Armee ein.
Mit seinen ausgezeichneten Sprachkenntnissen – neben Deutsch als Muttersprache sprach er Französisch, Italienisch, Kroatisch sowie Englisch und lernte auch fliessend Ungarisch – absolvierte er den Lehrgang zum Stabsoffizier und wurde ins diplomatische Korps aufgenommen.
Meine Großmutter väterlicherseits starb 1938 nach dem Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich. Die dortige Erbschaft konnte nur zu 50% außer Landes gebracht werden. Aus diesem Grund beschloss mein Vater, nicht zuletzt im Hinblick auf die unsichere weltpolitische Lage, einen Sommer lang Ferien in Österreich zu verbringen. Seine Wahl fiel auf einen ruhigen Ort am Wörthersee, dem wärmsten See Mitteleuropas mit klarem Wasser und klarer Luft.
Nach Ende des Schuljahres reisten wir nach Graz, wo wir übernachteten. Das Restaurant des Hotels war laut meiner Mutter voll mit Menschen aller Nationen Europas.
Am nächsten Tag ging die Reise weiter nach Krumpendorf in die Pension Michner. Überaus freundlich wurden wir empfangen und begannen so unsere zweieinhalbmonatigen Sommerferien.
Jeden Tag nach dem Frühstück badeten wir im See. Besonders genoss ich meine Lieblingsbeschäftigung, die Ausfahrten mit dem Motorboot. Draußen auf dem See durfte ich das Boot sogar steuern. Mehrmals fuhren wir auch mit dem Dampfschiff nach Maria Wörth und nach Pörtschach.
Ein spannendes Erlebnis hatten wir, als ich mich mit meinem älteren Bruder während eines Ausflugs verirrte, weil wir eine Abkürzung zum See nehmen wollten. Mit der Zeit wurde ich so müde, dass er mich auf seine Schultern nehmen musste! Er war 10 Jahre älter als ich. Gerne spielte er jeden Tag Tennis. Eines Tages schwamm er über den See bis zum andern Ufer! Zurück brachte ihn zum Glück ein Boot. Das war in meinen Augen eine Riesenleistung!
Leider wurde unser Vater als Stabsoffizier schon Anfang August nach Budapest zurückgerufen, sodass wir zu dritt zurückblieben. Von meiner Mutter erfuhr ich, dass andere Sommerfrischler auch frühzeitig abreisten, so auch ein kleines Mädchen, mit dem ich gespielt hatte (dafür hatte ich sogar einen Ausflug nach Venedig ausgelassen!). Meine Mutter aber plante, des schönen Wetters wegen noch 2-3 Tage länger zu bleiben und erst am 1.September abzureisen.
Am Morgen unserer Abreise planten wir eine letzte Fahrt mit dem Motorboot. Der Besitzer, für mich „Onkel Kapitän”, wollte noch Treibstoff besorgen, kam aber bald traurig zurück. Der Krieg war ausgebrochen und aller Treibstoff eingezogen. Auch einen Gepäckträger für unser umfangreiches Gepäck fanden wir nicht mehr.
Unser Zug fuhr mit grosser Verspätung los und blieb an fast allen Haltestellen lange stehen, da die Armeezüge Vorrang hatten. Erst spät abends kamen wir in Graz an. Auch hier gab es keine Gepäckträger mehr, aber mein Bruder mit seinen 18 Jahren konnte zum Glück alles zum Hotel tragen. Das gleiche Restaurant, das vor zweieinhalb Monaten voller Leben gewesen war, gähnte nun in völliger Leere. Nur ein alter Kellner konnte uns noch bedienen. Am nächsten Tag um 10 Uhr sollte die Reise weitergehen, aber erst am späten Nachmittag fuhr unser Zug endlich Richtung Ungarn los und um Mitternacht erreichten wir die ungarische Grenze. Unser Wagen wurde über die Grenze geschoben und die Lok fuhr sofort zurück ins Reich.
Der Stationsvorsteher der Grenzstation Szentgotthárd hatte 2 Stunden auf uns gewartet. Die Nacht mussten wir im Zug verbringen und konnten am folgenden Morgen endlich nach Hause fahren.
So endeten unsere einzigen fröhlichen und sorglosen Sommerferien mit einem mulmigen Vorgefühl.