Das Gemischtwarengeschäft an der Hauptstraße gehörte einer schrulligen alten Frau, die in unserem Dorf für den Zusammenhalt, das soziale Gefüge und die Versorgung mindestens so wichtig war wie der Bürgermeister und der Pfarrer. Die Mattitsch nannte man sowohl die Person als auch ihr Geschäft. Ihr Laden bedeutete für den Ort eine unverzichtbare Einrichtung, eine Notwendigkeit und eine Fundgrube. Ich war immer froh, wenn ich hingeschickt wurde, um etwas einzukaufen, denn die Mattitsch schenkte uns Kindern die Endstücke von Würsten, die Wurstzipfel, wie wir sie nannten, zum Ausnagen und Auslutschen. Was für ein kulinarischer Genuss!
Im hinteren Raum des Geschäftes standen meistens rauchende und Bier aus der Flasche trinkende Männer. Eines Tages unmittelbar nach dem Kriegsende war ich gerade bei der Mattitsch, als ein Mann hereinstürzte und uns voller Aufregung sagte, wir sollten sofort durch die Hintertür verschwinden und nach Hause laufen. „Die Partisanen sind da“, keuchte er. Ich war aber vor Neugierde hypnotisiert und ging auf die Straße, wo ich durch den Anblick, der sich bot, wie angewurzelt stehen blieb. Ich sah zwei von Pferden gezogene Wägen, auf denen Menschentrauben zu hängen schienen. Die grauen und verwahrlost wirkenden Männer waren bis zu den Zähnen bewaffnet. Plötzlich entstand Bewegung und die Männer sprangen von ihren Fahrzeugen. Im Nu hatten sie einige Personen umringt und ihre Gewehre auf sie gerichtet. Unter ihnen befanden sich auch Männer aus dem Dorf, die ich kannte. Dass diese Menschen meines Alltags vom Erschießen bedroht hilflos dastanden, war aufwühlend und blieb längerfristig auf meine Gedankenwelt und Einstellung nicht ohne Auswirkung. Alles lief gespenstisch schnell ab und ich glaubte, sie würden die Leute entweder sofort erschießen oder mitnehmen. Der Spuk wurde aber rasch beendet, denn innerhalb weniger Minuten brausten britische Militärfahrzeuge heran. Die englischen Soldaten sprangen mit Maschinengewehren im Anschlag heraus und richteten sie auf die Partisanen. Die Zivilisten konnten gehen.
Dieses Ereignis hat sich in meinem Bewusstsein tief eingegraben. Ein Kind nimmt Schwarz-Weiß-Ansichten sofort auf und ich habe den Begriff Partisane, ohne zu wissen, woher sie kamen und wen oder was sie repräsentierten, als Inbegriff des Gefährlichen in mir herumgetragen, während die englischen Soldaten für einige Zeit durchaus verallgemeinernd zu rettenden Engeln hochstilisiert wurden.
Nach einiger Zeit wurden unsere Eroberer der ersten Stunde abgezogen und die echte britische Besatzungsmacht rückte ein. Nun handelte es sich um Berufssoldaten, die für längere Zeit in unsere Orte übersiedelten. Die höheren Offiziere brachten ihre Familien mit. Einheimische Familien mussten ihre Häuser räumen und den Engländern überlassen. Die Stimmung gegen diese routinierten, beamtenartigen Militärs, die hier einfach einen Job wahrnahmen und die, von ihrem Charisma und ihrem Auftreten her, keinem Vergleich mit jenen der ersten Welle standhalten konnten, war nicht gut. Die meisten von ihnen hielten von Anfang an eine gewisse Distanz zu den Einheimischen und manche waren anspruchsvoll, denn sie forderten für sich und ihre Familien nur die besten Villen. Deren Besitzer mussten sich irgendwo in kleinen Wohnungen zusammendrängen.
Volksschule im letzten Kriegsjahr
Einmarsch der englischen Armee
Partisanen und englische Soldaten
Unser Geoffe
Die Wiederkehr von Geoffe
Die englischen Kinder