Gustav Mahler, der die Sommer von 1893 bis 1896 in Steinbach am Attersee verbrachte, verließ diesen Ort im Spätsommer 1896 wegen Unstimmigkeiten mit dem damaligen neuen Pächter des Gasthofs. Er suchte einen neuen Ort und fand ihn in Maiernigg am Wörthersee.
Mahler ließ am Ufer des Wörthersees in den Jahren 1900 bis 1901 eine Sommerresidenz errichten und ein Komponierhäuschen abseits im Wald gelegen. Hier am Wörthersee verbrachte Mahler die Sommer bis 1907 und hier beendete Mahler seine 4. Symphonie und komponierte die 5., 6. und 7. und die 8. zum Teil. Er verbrachte die Monate Juni bis August hier und hatte festgelegte Zeiten, zu denen er sich in sein Komponierhäuschen, das nur einen Raum hatte, zurückzog.
Um zu seiner Seevilla zu gelangen, reiste Mahler mit dem Zug aus Wien an und stieg in Krumpendorf aus. Er ließ sich von seinem Diener mit dem Ruderboot nach Maiernigg übersetzen. In einem Brief von 1910 an Alma Mahler schrieb er rückblickend:
… In Krumpendorf erwartetest Du mich nicht, weil ich meine Ankunft nicht angezeigt hatte. Ich stieg in das Boot, um mich hinüberfahren zu lassen. Bei den ersten Ruderschlägen fiel mir das Thema oder vielmehr der Rhythmus und die Art der Einleitung zum 1. Satz der 7. Symphonie ein.
Es ist anzunehmen, dass Mahler in der 1902 erbauten Seerestauration zu Gast war, wenn er auf seinen Diener wartete, der ihn mit dem Ruderboot abholen sollte. Krumpendorf war Umstiegsort auch für Fahrten nach Klagenfurt.
So schilderte seine Frau, Alma Mahler, eine Rückfahrt 1906 von Klagenfurt nach Maiernigg:
Eines Abends fuhren Mahler, meine Mutter und ich aus Klagenfurt nach Krumpendorf, wo unser Diener uns mit dem Boot erwartete. Es war eine starre, mondhelle Nacht. Mahler saß mir gegenüber. Sein Havelock war bis zum Halse geschlossen. Das lange, weiße Gesicht, mit der ehernen, hohen Stirn leuchtete phosphoren. Er sah erschreckend aus, wie der Tod als Mönch verkleidet. Ich konnte mein Grauen nur loswerden, indem ich es ihm sagte. Er lachte und erzählte uns, daß er in Hamburg einst auf einem Maskenball als Mönch verkleidet gewesen sei, daß sich niemand an ihn heranwagte, weil er zu „echt“ ausgesehen habe. So muß Savonarola ausgesehen haben, wie er in dieser Nacht.
Der Tod der Tochter
Im Sommer 1907 verdichteten sich die Ereignisse zu einer enormen Tragik für die Familie. Mahler hatte bereits vor dem Antritt seines Sommeraufenthalts in Maiernigg seine Demission von der Stelle des k. k. Hofoperndirektors in Wien erbeten und sofort erhalten. Die jüngere Tochter Anna war Wochen vorher an Scharlach erkrankt, wurde aber wieder gesund. Kaum in Maiernigg angekommen erkrankte die ältere, viereinhalbjährige Maria an Scharlach mit diphterieartigen Symptomen. Das Mädchen starb unter schwerem Leiden am 12.7.1907. Es wurde am folgenden Tag auf dem Friedhof in Keutschach beerdigt (zwei Jahre später wurde der Sarg auf dem Grinzinger Friedhof in Wien beigesetzt). Bei Mahler wurde in diesen Tagen ein Herzleiden festgestellt.
In ihren „Erinnerungen an Gustav Mahler“ hat Alma die wohl schwerste Zeit im Leben beider festgehalten.
Auf dem Lande zeigten sich schon am dritten Tage bedrohliche Symptome bei dem älteren Kinde. Es war Scharlachdiphtherie, und das Kind von Anfang an verloren. Vierzehn Tage Bangigkeit – Verfall – Erstickungsgefahr. Entsetzliche Zeit! Die Natur half mit: Gewitter, rote Himmel. Mahler liebte dieses Kind dermaßen, daß er sich mehr und mehr in sein Zimmer verkroch, von diesem geliebten Kinde im Innern Abschied nehmend. In der letzten Nacht, in der der Kehlkopfschnitt gemacht wurde, stand die ganze Zeit hindurch der Diener vor Mahlers Schlafzimmertüre, damit er, falls er durch den Lärm geweckt würde, beruhigt und wieder in sein Schlafzimmer zurückgebracht werde. Und so schlief er die ganze Nacht. Diese furchtbare Nacht, in der meine Engländerin und ich einen Operationstisch richteten und das arme, arme Kind einschläferten. Ich rannte während der Operation am Strand entlang, laut schreiend, von niemandem gehört. Es war fünf Uhr früh (der Arzt hatte mir das Zimmer verboten), da kam meine Engländerin und sagte: „es ist vorbei.“ Und ich sah dieses herrliche Kind mit großen Augen liegen und röcheln, und so litten wir alle noch einen Tag – bis es aus war.
Mahler lief immer weinend und schluchzend an ihrer, vielmehr meiner Schlafzimmertüre vorbei, denn in einer Art Selbstvernichtungswillen hatte ich sie in mein Bett gelegt. Er floh, nur um keinen Laut mehr von ihr zu hören. Er konnte es nicht mehr ertragen. Wir telegraphierten meiner Mutter, die sofort kam. Wir schliefen alle drei in seinem Zimmer. Wir konnten einander nicht eine Stunde verlassen. Wir hatten Angst, wenn einer von uns das Zimmer verließ, er käme nicht wieder. Wir waren wie Vögel im Sturm, wir fürchteten die nächsten Stunden – und wie recht hatten wir!
Das Schicksal war noch lange nicht fertig mit uns. Ein Verwandter räumte uns alle Furchtbarkeiten, die ein Todesfall mit sich bringt, aus dem Wege. Am zweiten Tag nach dem Ende des Kindes bat Mahler meine Mutter und mich, hinunter an den Strand zu gehen. Dort bekam sie aus mir unerfindlichen Gründen einen Herzkrampf. Ich bückte mich zum See hinunter, um ihr einen nassen Umschlag auf das Herz zu machen. Da kam Mahler mit entstelltem Gesicht den Weg herab. Meine Augen irrten an ihm hinauf in die Höhe und – ich sah über mir, auf der Landstraße, wie der Sarg auf den Wagen gehoben wurde. Nun wußte ich die Ursache ihres plötzlichen Herzkrampfes und seiner Züge. Mahler war so fassungslos, so hilflos, daß ich – fast mit Glücksgefühl – in eine lange Ohnmacht fiel.
Der Arzt kam, konstatierte große Herzschwäche und verordnete Ruhe und Liegen, er verstand es nicht, daß ich in einem solchen Zustand des Herzens überhaupt noch herumgehen konnte. Mahler wollte etwas Heiterkeit in unser trauriges Zimmer bringen und sagte: „Gehn’s, Doktor, wollen Sie mich nicht auch untersuchen? Meine Frau hat immer Angst wegen meines Herzens. Sie soll heute eine Freude haben, sie braucht es.“ Und der Doktor untersuchte ihn. Tiefernst erhob er sich. Mahler war auf dem Sofa gelegen. Dr. Blumenthal hatte gekniet, und er sagte fast heiter (wie die meisten Ärzte, wenn sie eine Todeskrankheit diagnostizieren): „Na, auf dieses Herz brauchen Sie aber nicht stolz zu sein!“ Und mit diesem Befund begann das Ende Mahlers.
Diese Vorkommnisse, zu denen noch der Rücktritt Mahlers von der Oper kam, verwandelten unsere ganze Existenz. Wir waren innerlich und äußerlich heimatlos. Furchtbar, fast unverständlich groß, war die Wirkung der Worte des Arztes auf Mahler gewesen. Er war mit dem nächsten Zug nach Wien gefahren, um dort Professor Kovacs zu konsultieren, welcher des Landarztes Diagnose voll bestätigte: Doppelseitiger, angeborener, obwohl kompensierter Klappenfehler….
Ich packte das Notwendigste ein, und wir flohen aus Maiernigg, wo alles Erinnerung war und uns quälte, nach Schluderbach in Tirol….
Die Mahlers gaben das Anwesen auf, verkauften es und sollten nie wieder zurückkehren.
Quellen:
- Alma Mahler, Erinnerungen an Gustav Mahler, Amsterdam 1940, Neuauflage 1972
- Gustav Mahler am Wörthersee, Begleitheft zur Ausstellung im Komponierhäuschen